MIR-Recherche: Einfach mitgenommen
- MIR-Redaktion

- 3. Apr.
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Michendorf - Mit einem frisch montierten Hinweisschild samt QR-Code ragt die „Mitnahmebank“ am Ortseingang von Michendorf in die kühle Märzmorgensonne. Wer hier auf eine Mitfahrgelegenheit wartet, kann den Code scannen – so jedenfalls die Idee. Denn die Gemeinde hofft, ihrem Mitfahrbänke-Projekt mit digitaler Hilfe neuen Schwung zu geben. Im Frühjahr 2025 wurden alle 19 Mitnahmebänke in den Michendorfer Ortsteilen mit neuen Schildern ausgestattet, die auf die Mitfahr-App „comby“ verweisen. Über diese App können Fahrgemeinschaften nun auch per Smartphone angebahnt werden: Standort auswählen oder QR-Code an der Bank scannen, Fahrtwunsch eingeben und warten, bis ein registrierter Fahrer die Anfrage bestätigt – so beschreibt es die Gemeindeverwaltung in ihrer Mitteilung vom 13. Januar 2025. Wer sich als Fahrer registriert, erhält im Rathaus eine Plakette fürs Auto, um als Teilnehmender erkennbar zu sein. Entwickelt wurde „comby“ vom Landkreis Potsdam-Mittelmark gemeinsam mit Michendorf und dem Fraunhofer IESE im Rahmen des Bundes-Förderprogramms Smarte.Land.Regionen, das ländliche Mobilität mit digitalen Mitteln verbessern soll. Der Landkreis bestätigte auf Anfrage, dass das Projekt vom Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) mit 90 % gefördert wird – selbst die neuen Schilder (Kosten: 357,10 € für alle 19 Bänke) wurden aus diesen Mitteln finanziert. Die Anbringung vor Ort übernahm die Gemeinde.
Dabei hatten die Mitnahmebänke in Michendorf schon analog als „modernes Trampen“ für Schlagzeilen gesorgt. Am 29. April 2022 fiel der Startschuss für dieses neue Mobilitätsangebot. In den folgenden Wochen installierte die Gemeinde insgesamt 19 bunt gestaltete Sitzbänke – verteilt über alle Ortsteile und meist in der Nähe von Bushaltestellen. Ein kleines grünes Schild mit der Aufschrift „Mitnahmebank“ macht die Standorte kenntlich, zusätzlich sind an den Bänken Wegweiser angebracht, die die gewünschte Fahrtrichtungen anzeigen. Wer etwa von Stücken nach Fresdorf mitgenommen werden möchte, stellt am Wegweiser die entsprechende Ortsrichtung ein, setzt sich auf die Bank und hofft, dass ein vorbeikommendes Auto anhält. Ein „GEMEINSAM MOBIL“-Aufkleber, den mitnahmebereite Autofahrer auf freiwilliger Basis von der Gemeinde erhalten können, soll dabei Vertrauen schaffen – an diesem Prinzip hat auch die neue App festgehalten. Kurze Strecken gemeinsam zurücklegen, die Ortsteile besser verknüpfen und das solidarische Miteinander fördern – so umriss die Bürgermeisterin das Ziel des Projekts. Michendorf wurde mit den 19 Standorten zum Rekordhalter in der Region; keine andere Kommune im Umkreis hatte ein derart dichtes Netz an Mitfahrbänken. Sogar die Optik der Bänke band man in die Gemeinschaft ein: 16 der 19 Bänke wurden von örtlichen Vereinen, Initiativen oder sozialen Einrichtungen kreativ bemalt, um einen Heimatbezug herzustellen und Vandalismus vorzubeugen (nach einem öffentlichen Aufruf der Gemeinde).
Doch obwohl Verwaltung und Politik große Hoffnungen in die Mitnahmebänke setzten, blieb der ganz große Durchbruch bislang aus. Offizielle Nutzungsstatistiken? Gibt es nicht. „Bisher liegen keine Nutzerzahlen vor“, teilte die Gemeindeverwaltung auf Anfrage der MIR-Redaktion mit. Man denke über Sensoren an den Bänken nach, um zumindest datenschutzkonform erheben zu können, wie oft dort jemand sitzt. Auch darüber, wie viele Michendorfer sich seit Einführung der „comby“-App im Januar 2025 registriert haben und ob die Digitalisierung das Mitfahren merklich belebt, kann die Gemeinde noch nichts sagen: Eine Auswertung sei zwar angefragt, liege aber bislang nicht vor. Konkrete Vergleichszahlen aus anderen Kommunen, die ähnliche Bänke betreiben, kennt man in Michendorf ebenfalls nicht. Dabei war bereits in der Konzeptphase einigen Ortsbeiräten mulmig zumute – sie äußerten Skepsis, ob die Mitfahrbänke im Alltag funktionieren würden. Inzwischen, gut drei Jahre nach Projektstart, sei aus den Ortsbeiräten allerdings keine neue Kritik oder Anregung mehr an die Verwaltung herangetragen worden, teilte diese mit. Alle relevanten Standorte seien ja mit Bänken ausgestattet; weitere seien nicht geplant, hieß es aus dem Rathaus. Das Angebot werde “fortgeführt” und man arbeite eng mit dem Landkreis zusammen – ein klares Signal, dass die Gemeinde trotz mäßiger Resonanz nicht von ihrem Kurs abrücke.
Tatsächlich zeichnet sich im Alltag ein eher nüchternes Bild ab. Eine eigene Stichprobe der Redaktion im März 2025 ergab, dass kein einziger Autofahrer anhielt, obwohl Redakteure morgens und abends jeweils zwei Stunden lang an drei verschiedenen Mitnahmebänken auf Mitfahrgelegenheit warteten. Die meiste Zeit blieben die bunten Bänke schlicht leer; vereinzelt nutzten Passanten sie als normale Sitzgelegenheit – zum Verschnaufen beim Spaziergang, nicht zum Trampen. Entsprechend drastisch fällt das Urteil mancher Beobachter aus der Kommunalpolitik aus: „Jetzt wurden überall neue Schilder angebracht – um ein nicht genutztes Projekt zu fördern. Als würde man hier einen toten Esel füttern“, heißt es aus CDU-Kreisen über die jüngsten Digitalisierungsversuche. Die Beteiligung der Bevölkerung sei von Anfang an „nahezu Null“ gewesen und die Mitnahmebank bloß ein "ideologiegetriebenes Klientelprojekt", das an der Realität vorbeigehe. In der Tat scheint ein grundsätzliches Problem zu sein, dass Angebot und Nachfrage bei diesem Konzept nur schwer zueinander finden: Viele potenzielle Mitnehmer wissen gar nicht, dass ihre Fahrt gewünscht wird, während Wartende geduldig die Minuten (oder Stunden) zählen. Zwar bemüht sich die Gemeindeverwaltung um Bekanntmachung – ein Mitglied der Gemeindevertretung, empfahl beispielsweise, die neue App und das Prinzip der Mitnahmebänke „intensiver bekannt zu machen“. Doch zugleich halten manche Eltern ihre Kinder vorsichtshalber von den bunten Bänken fern: Man wisse nie, wer da anhält; da würde man eher den Bus nehmen, so der Tenor im Sozialausschuss der Gemeinde. Auch älteren Menschen ohne Smartphone dürfte die digitale App-Hürde kaum gerecht werden – gerade sie waren aber ursprünglich eine wichtige Zielgruppe der analogen Bänke, um etwa ohne Führerschein zum nächsten Supermarkt zu kommen.
Trotz aller Kritik findet die Gemeinde auch versöhnliche Worte für ihr Nischenprojekt. Die Mitnahmebank sei ein „niederschwelliges Angebot“ und ein „kleiner Beitrag für alternative Mobilität“ – vergleichbar mit den kostenfrei ausleihbaren Lastenfahrrädern, die es ebenfalls in Michendorf gibt. Anders als manch aufwendig organisierter Rufbus oder Bürgerbus benötige dieses Angebot weder viel Personal, noch hohe laufende Kosten; es beruhe auf Freiwilligkeit und Solidarität. Einen eigenen Rufbus für jedes Dorf – wie ihn teils sehr ländliche Gemeinden mit Hilfe von Ehrenamtlichen betreiben – wolle Michendorf nicht aufbauen. Zu ineffizient und teuer wäre das aus Sicht der Verwaltung. Stattdessen setze man weiter auf die einfache Bank und jetzt eben auf die App. Beim Landkreis Potsdam-Mittelmark registriert man unterdessen durchaus Interesse aus der Umgebung: Kontinuierlich gehen Anfragen zur Mitnutzung der comby-App ein, berichtet der Kreis über Rückmeldungen benachbarter Kommunen. Die digitale Mitfahrbank könnte also Nachahmer finden – zumindest dort, wo man an den Erfolg des „Trampens 2.0“ glaubt.
Ob sich in Michendorf selbst noch ein echter Durchbruch einstellt, bleibt indes abzuwarten. Fest steht: Aufgeben will hier niemand. „Das Projekt der Mitnahmebank wird nicht eingestellt“, stellt die Gemeindeverwaltung klar. Eher werden im Zweifel die Maßstäbe zurechtgerückt. Man dürfe nicht erwarten, dass solch eine Bank das Mobilitätsproblem auf dem Land allein löst, so der Subtext – aber als ergänzende Möglichkeit könne sie eben doch wertvoll sein. Und sei es nur für den seltenen Fall, dass Angebot und Nachfrage einmal glücklich zusammentreffen. Dann nämlich könnte ein wartender Fahrgast endlich das tun, was das grüne Schild an der Bank verspricht: einfach mitgenommen werden.




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