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MIR-Report: Michendorf ringt um das "Stadtbild"

Michendorf - Michendorf diskutiert über Sicherheit wie seit Jahren nicht mehr. Auslöser war die bundesweite Debatte über das „Stadtbild“, die Bundeskanzler Friedrich Merz Mitte Oktober in Potsdam ausgelöst hatte. Bei einem Termin erklärte Merz, man korrigiere Fehler der früheren Migrationspolitik, fügte aber hinzu, dass „wir natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“ hätten. Diese Formulierung löste bundesweit eine heftige Diskussion aus – zwischen Zustimmung, Kritik und der Frage, was das konkret für Gemeinden bedeutet.


Die Michendorfer Rundschau hat recherchiert, Polizeidaten ausgewertet und die örtlichen Parteien befragt. Die Ergebnisse verbinden nüchterne Statistik mit alltäglicher Wahrnehmung und zeigen, warum Sicherheit in Michendorf zu einem der meistdiskutierten Themen geworden ist.


Um zu erfahren, wie die Michendorfer Parteien die Aussage des Bundeskanzlers einordnen, hat die Rundschau gezielt nachgefragt. SPD und Grüne wollten sich auf Anfrage nicht zur Aussage von Bundeskanzler Merz und zur Sicherheitslage in Michendorf äußern. Grünen-Fraktionsvorsitzende Marlene Zscherper reagierte jedoch online und bezeichnete die Formulierung des Kanzlers als „Rassismus“, weil Politik nicht nach optischen Maßstäben betrieben werden dürfe.


Während SPD und Grüne sich zurückhalten, beziehen andere Parteien klar Stellung. Der Ortsvorsitzender der Kanzler-Partei CDU, Gregory Gosciniak, stellte sich inhaltlich deutlich hinter den Bundeskanzler. „Friedrich Merz hat recht“, schrieb er auf X (ehemals Twitter). „In vielen Kommunen erleben wir zunehmende Probleme im öffentlichen Raum. Es wäre unehrlich zu sagen, das habe nichts mit Migration zu tun – viele Menschen spüren Veränderungen, wenn sie durch Innenstädte gehen oder über Weihnachtsmärkte laufen.“


Zwischen diesen Positionen platziert sich die FDP Michendorf. Deren Vorsitzender Axel Lipinski-Mießner bezeichnete die bundesweite Diskussion als „legitim und notwendig“, warnte jedoch vor einer „emotional aufgeladenen Symbolpolitik“. Sicherheit sei Voraussetzung für Freiheit, müsse aber „faktenbasiert und nicht entlang von Stimmungen“ gestaltet werden.


Deutlich schärfer fallen die Reaktionen der AfD Michendorf aus. Vorsitzender Peer Dorow begrüßte zwar die Äußerungen von Merz, betonte aber, viele Bürger hätten „dieses Gefühl schon lange“. Schmierereien, Vandalismus und das Erscheinungsbild öffentlicher Plätze seien Anzeichen einer Entwicklung, „die viele nicht mehr wiedererkennen“. Er forderte eine stärkere Polizeipräsenz und sprach von einem „veränderten Ortsbild, besonders in Wilhelmshorst und rund um den Bahnhof“.


Während die Parteien diskutieren, zeigt der Blick auf die Zahlen, wie sich die tatsächliche Lage entwickelt hat. Michendorf, die Gemeinde zwischen Hauptstadt und Fläming, verzeichnet laut offizieller Polizeistatistik im Jahr 2024 so viele registrierte Straftaten wie seit Jahren nicht mehr. Gleichzeitig fühlen sich viele Bürger unsicherer, besonders in den Abendstunden und an Orten wie dem Bahnhof. Während die Polizei nüchtern bilanziert, diskutiert Michendorf darüber, was „Sicherheit“ eigentlich bedeutet – und was sie gefährdet.


Laut Auskunft der Polizeidirektion West wurden in Michendorf 2024 insgesamt 3.809 Einsätze verzeichnet und 842 Straftaten registriert. Im Jahr zuvor waren es 606 Straftaten – ein Anstieg um rund 39 Prozent. Die Polizei weist darauf hin, dass die Zahlen auch Vorfälle enthalten, die sich später als unbegründet herausstellten oder reine Hilfeleistungen betrafen. Die Aufklärungsquote sank im gleichen Zeitraum von 45,2 Prozent auf 34,4 Prozent.


Ein langfristiger Vergleich zeigt, wie stark sich die Lage verändert hat: In den Jahren 2019 bis 2022 lag Michendorf meist unter 600 Fällen pro Jahr. Nun sind die Werte wieder so hoch wie Mitte der 2010er-Jahre. Ein Polizeihauptkommissar erklärte gegenüber der Rundschau: „Die Zahlen bilden keine Eskalation ab, aber sie zeigen, dass Michendorf wieder ein aktiveres Einsatzgebiet geworden ist. Viele Vorfälle betreffen Alltagsdelikte, die unmittelbar im öffentlichen Raum sichtbar sind.“


Gerade diese „sichtbaren“ Delikte prägen das Sicherheitsgefühl der Menschen. Was früher eher im Verborgenen geschah – Einbrüche, Betrug, Onlinekriminalität –, wird heute zunehmend abgelöst durch Vandalismus, Sachbeschädigungen, Auseinandersetzungen und Schmierereien, also Phänomene, die man unmittelbar sieht.


Die Detailauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik bestätigt dieses Bild. Fahrraddiebstähle bleiben nahezu konstant. Körperverletzungen verzeichnen ein Plus von knapp 25 Prozent. Auch Ladendiebstähle stiegen um rund 25 Prozent. Sexualdelikte bleiben auf gleichbleibend niedrigem Niveau. Sachbeschädigungen – darunter zahlreiche Graffiti-Fälle – haben deutlich zugenommen.


Besonders aufmerksam verfolgt die Polizei die Entwicklung bei Jugendlichen. 2024 stieg die Zahl jugendlicher Tatverdächtiger (14–21 Jahre) im Vergleich zum Vorjahr spürbar an. „Dabei waren in beiden Jahren Körperverletzungen und Sachbeschädigungen die am häufigsten begangenen Delikte bei Jugendlichen“, heißt es in der Antwort der Polizei.


Diese Zahlen decken sich mit dem, was viele Michendorfer seit Monaten berichten: Es sind nicht die großen Verbrechen, sondern die kleinen, wiederkehrenden Störungen, die das Sicherheitsgefühl nachhaltig verändern.


Vor allem der Bahnhof Michendorf wird in sozialen Netzwerken immer wieder genannt. In einer nicht-repräsentativen Facebook-Umfrage von „MichendorfBlick“ gaben 42 Prozent der Teilnehmenden an, sich dort unwohl zu fühlen. 23 Prozent berichteten von zunehmendem Vandalismus, 16 Prozent von beobachteten Belästigungen oder Drogenhandel. Zehn Prozent meiden den Ort abends ganz. Repräsentativ ist das nicht – politisch relevant jedoch allemal. Denn dort, wo Licht fehlt, Müll liegen bleibt, Graffiti wuchern und Gruppen rauer auftreten, kippt das Sicherheitsgefühl schnell, auch ohne akute Bedrohung.


Politisch bleibt das Bild gespalten – zwischen nüchterner Analyse und dem Wunsch nach sichtbarer Ordnung. Für die Michendorfer CDU ist Sicherheit ein zentraler Bestandteil kommunaler Verantwortung. Ortsvorsitzender Gregory Gosciniak sagte im Sommerinterview mit der Rundschau, man habe „manchmal das Gefühl, es gibt zu viel Aufmerksamkeit an den falschen Stellen. Wenn der Rasen vorm Zaun zu lang steht, ist jemand da – wenn Jugendliche Glas am Bahnhof verteilen oder Nachbarn bedrohen, nicht.“ Er forderte eine klare Priorisierung bei Polizei und Ordnungsamt. Auch in seiner Reaktion auf die Merz-Aussage betonte er, Michendorf sei kein unsicherer Ort, man müsse aber auf Prävention, Sauberkeit und sichtbare Präsenz setzen.


Das CDU-Programm zur Kommunalwahl 2024 benennt unter dem Punkt Gemeinwohl, öffentliche Ordnung und Nachhaltigkeit konkrete Maßnahmen: stärkere Beleuchtung an Gehwegen, eine Schwerpunktverlagerung des Ordnungsamts auf Vandalismus, Prävention im Jugendbereich und konsequente Durchsetzung von Ordnung.


FDP-Orts- und Fraktionschef Axel Lipinski-Mießner äußerte sich ebenfalls zu Sicherheitsfragen. Im Sommerinterview der Rundschau erklärte er, Polizei und Ordnungsamt seien ausreichend präsent. Auf Nachfrage ergänzte er, Entscheidungen müssten „faktenbasiert und nicht entlang von Stimmungen“ erfolgen. Die FDP erkennt einzelne Problemfelder – etwa Einbrüche in Ferienzeiten – an, warnt jedoch vor „Pauschalisierungen und politischer Instrumentalisierung“. Ganz anders sieht das Peer Dorow, Vorsitzender der AfD Michendorf. Er spricht von einem „sichtbaren Wandel“ des Ortsbildes und einer „wachsenden Unsicherheit“, insbesondere am Bahnhof Wilhelmshorst.


SPD und Bündnis 90/Die Grünen wurden ebenfalls zum Thema Sicherheit befragt, äußerten sich jedoch nicht. Hinweise finden sich nur in ihren Wahlprogrammen: Die SPD betont den Zusammenhang zwischen Aufenthaltsqualität und Sicherheitsgefühl — etwa durch Beleuchtung, gepflegte Treffpunkte und barrierefreie Plätze. Die Grünen setzen auf gesellschaftlichen Zusammenhalt, Jugendbeteiligung und Integrationspolitik. Konkrete Aussagen zu Ordnung und Durchsetzung fehlen in ihrem Programm.


Insgesamt zeigen Programme und Äußerungen, dass es trotz unterschiedlicher Schwerpunkte gemeinsame Berührungspunkte gibt: Sauberkeit, Beleuchtung, Jugendarbeit und sichtbare Präsenz im öffentlichen Raum werden von allen demokratischen Parteien anerkannt. Während CDU und FDP stärker auf konkrete Maßnahmen und Durchsetzung setzen, legen SPD und Grüne mehr Wert auf soziale und infrastrukturelle Prävention.


Eine übergreifende Sicherheitsstrategie, die Statistik und Wahrnehmung verbindet, wird bislang nicht erkennbar koordiniert verfolgt. Gleichwohl deuten die Schnittmengen darauf hin, dass ein gemeinsamer Ansatz möglich wäre: Ordnung, Prävention und Beteiligung als Säulen einer Sicherheitspolitik, die im Alltag spürbar bleibt.


Die Diskussion um das „Stadtbild“ zeigt, dass Sicherheit in Michendorf kein Randthema ist. Die Zahlen sind kein Alarmzeichen, aber sie sind ein Weckruf. Michendorf ist sicher – aber unruhiger. Die CDU fordert mehr Präsenz, die FDP Sachlichkeit, SPD und Grüne soziale Ansätze. Doch am Ende zählt nicht, was in Programmen steht, sondern was die Menschen auf der Straße sehen: Licht, Ordnung, Sauberkeit. Wo das fehlt, wächst Unsicherheit – wo es bleibt, wächst Vertrauen.

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